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Kontextveränderung

Zunächst konfrontierte Prof. Rumpf uns mit zwei Beispielen zur Verfremdung von Objekten, die nach dem Prinzip der Kontextveränderung funktionieren. Dabei wird ein bekanntes Objekt in einen ungewohnten Kontext gesetzt.

Bei dem ersten Beispiel handelte es sich um eine Karikatur von Helmut Kohl. Der bekannte Politiker war in einem dunklen Gewand, das an eine Mönchskutte erinnerte, abgebildet. Sein Gesichtsausdruck spiegelte eine Mischung aus Verschmitztheit und ``Dickbramsigkeit''siehe wieder. Das Bild erinnerte an ein altes Ölgemälde, vielleicht an ein bekanntes Porträt von Martin Luther. Im Hintergrund war eine in Ocker und Braun gemalte Landschaft erkennbar.

Das bekannte Gesicht von Helmut Kohl in einer unerwarteten Situation ließ die Teilnehmer des Kolloquiums zahlreiche Assoziationen bilden. Hierbei wurden bekannte Eigenschaften der Person mit Teilen des Bildes zu neuen Sichtweisen kombiniert. Ein vertrautes Objekt, eine Person, die uns jahrelang ständig in den Medien begegnet ist, kann neu entdeckt, neu kennengelernt werden. Anders als bei dem Lesen einer Biografie geschieht dies hier aktiv.

Als zweites Beispiel las Prof. Rumpf uns einen Teil aus dem Roman ``Der Goldtropfen''siehe von Michel Tournier vor. In diesem Teil wird beschrieben, wie ein Junge, der sein bisheriges Leben in einem Dorf in der nordafrikanischen Wüste verbracht hat, zum ersten Mal eine große Stadt besucht. In dieser Stadt begleitet er eine Gruppe europäischer Touristen in ein Volkskunde-Museum.

Ein Exponat der Ausstellung zeigt die Lebenswelt der Wüstenbewohner, die Heimat, die der Junge erst am Morgen desselben Tages verlassen hat. Hier ist sie jedoch nicht mit Leben gefüllt. Sie wird von den Touristen mit staunenden, teils herablassenden Kommentaren bedacht.

Ausgehend von dieser Geschichte, entwickelte sich unter den Teilnehmern des Kolloquiums eine Diskussion darüber, ob sowohl die europäischen Touristen als auch der afrikanische Junge eine Verfremdung seiner Lebenswelt feststellen könne. Ich äußerte die Meinung, daß nur Bekanntes verfremdet werden kann. Fremdes ist fremd, ein Veränderung des Kontextes oder eine andere Art der Verfremdung kann keine Vertrautheit erschüttern. Daher sehen die Touristen nur eine fremde Umgebung, die sie zum ersten Mal kennenlernen. Der Junge sieht jedoch eine verfremdete Umgebung. Er hat die Chance, wohlbekannte Objekte auf eine neue, andere, vielleicht erschreckende Art zu sehen.

Die These, daß nur Bekanntes verfremdet werden kann, habe ich in einer späteren Sitzung durch ein Experiment zu belegen versucht. Eine Beschreibung dieses Experimentes befindet sich in Abschnitt 2.2.


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Mon Nov 13 01:02:36 CET 2000