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Fremdes und Bekanntes

  Ziel der Verfremdung eines Objektes ist es, es neu und anders kennenzulernen. Durch die Verfremdung soll das scheinbar Bekannte fremd gemacht werden, damit es neu entdeckt werden kann. Wie oben beschrieben, läßt sich diese Technik in verschiedenen Formen umsetzen.

Im Verlaufe des Kolloquiums stellte ich, angeregt durch eine Diskussion der Teilnehmer, die These auf, daß ein neues Entdecken durch Verfremdung nur mit bekannten Objekten möglich sei. Man kann nur Bekanntes verfremden, Fremdes ist noch fremd.

Ich versuchte diese These mit einem Experiment zu bestätigen. Ich machte Fotos von einer Audio-Kassette, einem Gegenstand, von dem ich vermutete, daß alle Teilnehmer des Kolloquiums ihn kannten. Diese Fotos mit Ansichten aus verschiedenen Perspektiven verfremdete ich. Ich schnitt Details der Fotos aus und klebte die Ausschnitte auf ein Poster (Abbildung 4). Auf die Rückseite des Posters klebte ich eine Aufnahme auf der der ganze Gegenstand sichtbar war (Abbildung 6).

Auf gleiche Art und Weise verfremdete ich auch die Fotos einer Nasenpfeife, eines Gegenstandes, von dem ich vermutete, daß er allen Teilnehmern des Kolloquiums unbekannt sei (siehe dazu die Abbildungen 5 und 7).

Ich plante, daß die Teilnehmer sich zuerst die Verfremdung eines der beiden Gegenstände anschauen sollten. Nach einiger Zeit sollten sie dann das Poster umdrehen und die Auflösung sehen.

Ich erwartete folgenden Effekt: Die Auflösung führt bei dem bekannten Gegenstand dazu, daß man die Details, die ich in der Verfremdung abgebildet hatte, in dem Objekt neu erkennt. Man sieht die Kassette, die man zu kennen glaubt, auf eine neue Art und Weise. Man hat neue Eigenschaften eines vermeintlich bekannten Objekts kennengelernt. Ich erwartete ein erstauntes ``Aha!'' der Beobachter.

Bei dem fremden Gegenstand erwartete ich keine solche Reaktion. Die Verfremdung wird nicht aufgelöst. Auch die Gesamtaufnahme des Objektes macht es nicht bekannt. Durch die Detailaufnahmen eines fremden Objektes kann man dieses nicht erneut kennenlernen. Der durch Verfremdung erzielte Lerneffekt bleibt hier aus. Ich erwartete eine unbefriedigte Reaktion der Beobachter.

Die Durchführung des Experimentes bestätigte im wesentlichen meine Erwartung. Die Reaktionen der Beobachter waren allerdings nicht so deutlich wie erhofft. In der anschließenden Diskussion bestätigten alle Teilnehmer, daß sie durch die Verfremdung nichts über das unbekannte Objekt gelernt haben. Einige sagten, daß sie die Details der Kassette zum ersten Mal bewußt wahrgenommen haben.

Ich kam so zu der Überzeugung, daß nur ein bekanntes Objekt verfremdet werden kann. Eine Verfremdung des Unbekannten ist nicht möglich. Dies war einer der Befunde, die mich zu der Vermutung kommen ließen, daß bei einigen Typen der Verfremdung ein Auflösen bekannter Superzeichen vorliegt, wie ich es in diesem Text erläutere.


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Son Nov 12 13:51:05 CET 2000